Lissy und ich, 2004
Ganz ehrlich: ich liebe es, allein zu sein. Ich bin es nur nie. Denn ich habe eine Familie. Und die wollte ich ja auch immer haben.
Im Normalfall kein Problem. Wenn alles sortiert ist und mein Leben in ruhigen Bahnen läuft. Dann weiß ich, wo ich mir meine Ich-Zeit abknapse. Denn es gibt so Randzeiten, da kann ich nur für mich sein. Beim Sport, beim Lesen, beim Schreiben. Das brauche ich, um meinen Akku wieder aufzuladen.
Nun habe ich ja seit genau 6 Wochen den Ausnahmezustand ausgerufen. Umzug. Die ersten 4 Wochen habe ich ausgemistet und gepackt, was das Zeug hält. Organisiert, welcher Nachbar welche Möbel übernimmt, was noch abgeschraubt werden muss. Zugesehen, das trotzdem nebenher für die Kids alles weiterläuft und der Mann sein veganes Essen bekommt.
Nach dem Umzug kamen 2 Wochen, in denen ich nur versucht habe, für alles einen Platz zu finden. Schwierig, wenn man andere Räume hat, als vorher. Es gibt zwar mehr Platz, aber die Sachen aus dem Keller kommen jetzt zum einen ins Lager, zum anderen in den Keller und zum dritten ins Büro. Das heißt: treppauf, treppab. Oder wie mein Mann sagte: “Da muss man ja bei jeder Sache, die man in die Hand nimmt, eine Entscheidung treffen.” Willkommen in meinem Leben, Schatz. Vegan läuft nebenher weiter. Genauso wie die Eingewöhnung der Kinder begonnen hat. Die dürfen jetzt alleine zum Supermarkt gehen während ich am Fenster stehe und schaue, wie sie die Straße überqueren. Und alleine rüber zum Spielplatz – aber da sind andere Kinder als in der alten Siedlung und damit herrscht auch eine andere Dynamik. Heißt auch wieder: schauen und da sein, wenn nötig.
Was mich wirklich freut: ihre Freunde aus dem Kindergarten und aus der Schule klingeln jetzt bei uns. Da wohnen einige im neuen Viertel. Aber das heißt auch: diese Kinder erstmal kennenlernen. Schauen, wie sie untereinander ticken, wer welche Empfindlichkeiten – und in den heutigen Zeiten auch: welche Nahrungsmittelunverträglichkeiten – hat. Schließlich muss ich die Bande auch verköstigen, wenn sie den Nachmittag bei uns verbringt.
Ja, meine Familie ist nicht nur umgezogen und wohnt jetzt in einem neuen Haus, sie muss auch einen neuen Platz in einer neuen Gemeinschaft finden. Eine Zeit, die für Mütter immer sehr herausfordernd ist. Dabei sollte das – gemessen daran, wie oft Mütter das machen – mittlerweile eigentlich ein Leichtes für mich sein.
Geburtsvorbereitung und Entbindung, Hebamme und Krabbelgruppe, Kita und Kindergarten, Vereine, Ballettgruppen und Musikschulen, Schulklassen und immer wieder Nachbarschaft. Wir Mütter müssen schon bevor die Kinder auf der Welt sind in Gruppen funktionieren – und bereit sein, uns völlig Fremden gegenüber körperlich wie emotional zu öffnen.
Und mit körperlich meine ich nicht nur die Geburt und die Nachsorge. Kinder haben ist nämlich etwas sehr körperliches. Am Badesee liegt man in den ersten Jahren nicht EINMAL auf dem Handtuch und das Buch bleibt auch in der Tasche: man steht jetzt am See, im Bikini, mit einem sicher nicht perfekten Post-Baby-Body und rettet seine Brut vor dem Ertrinken. Ob man Cellulite hat oder einen dicken Po? Das interessiert nicht wirklich. Kinder haben heißt immer präsent sein: mit dem, was man hat. Und wenn das gerade ein Schwabbelbauch ist: so it be.
Kinder wollen auf den Schoß – auch wenn es warm ist. Mit Dir kuscheln und dabei unauffällig ihre schmutzigen Hände an Deiner Jeans abwischen. Sie müssen die Nase geputzt bekommen, hoch- und runtergehoben werden und balancieren – während Du zur Unterstützung ihre Hand hälst.
Das emotionale Öffnen gegenüber Fremden ist fast noch gewöhnungsbedürftiger. Bei mir immer so eine Sache: das Adventssingen. Wenn 60 glockenhelle Stimmchen “Oh Du fröhliche” anstimmen, muss ich weinen. Genauso wenn “Kinder laufen für Kinder”, der große alljährliche Spendenlauf ansteht. Dieser erste Moment, in dem die Kinder losrennen, diese Lebensfreude, dieses Rennen, dieses Leuchten, diese Energie. Und meine Kinder mittendrin. Schon wieder stehe ich da: tränenüberströmt. Beim Krippenspiel, wenn meine Tochter das Schaf abstellen darf. Bei der Adventsspirale. Und beim Überreichen des Abschiedsgeschenks an die Kindergärtnerin.
Mutter sein heißt, nie allein zu sein. Weder mit Deinen Gefühlen, noch mit Deinem Körper. Das ist wunderschön. Und für jemanden der gerne alleine ist, manchmal die Hölle – vor allem wenn man gerade zu viel an den Hacken hat.
Meine Leserin Wiebke macht momentan etwas ganz Tolles. Sie ist eine Woche lang alleine. Sie macht, was sie will. Aber nicht im Außen, sondern hauptsächlich im Innen. Yoga zum Beispiel. Sich was Leckeres kochen. Einfach mal wieder für sich und bei sich sein. Was mich zu folgendem Gedanken brachte: Warum mache ich das eigentlich nie? Die längste Zeit die ich von meinen Kindern getrennt war, waren 5 Tage. Damals bin ich mit meinem Mann nach Malibu geflogen. Dann nochmal 3 Tage, als wir in New York waren. Und das in fast 10 Jahren.
Dank meiner Mutter habe ich zwar hier und da Übernachtungsauszeiten – aber ich bin nie länger alleine. Zum einen, weil ich mir das gar nicht vorstelle. Schließlich ist Mutter sein eine Lebensaufgabe, die man nicht so einfach abstellen kann. Zum anderen aber auch, weil ich noch nie auf die Idee gekommen bin, dass das mit wachsendem Alter der Kinder langsam WIRKLICH eine REELLE Möglichkeit sein könnte. Die ich dieses Jahr bestimmt noch einmal in Angriff nehmen werde. Und jetzt schon gespannt bin, ob ich mich dabei vogelfrei und wie in alten Zeiten fühle, oder einfach nur: Allein, allein.
Eure Svenja
7 Kommentare
“Geburtstvorbereitung und Entbindung, Hebamme und Krabbelgruppe, Kita und Kindergarten, Vereine, Ballettgruppen und Musikschulen, Schulklassen und immer wieder Nachbarschaft. Wir Mütter müssen schon bevor die Kinder auf der Welt sind in Gruppen funktionieren – und bereit sein, uns völlig Fremden gegenüber körperlich wie emotional zu öffnen.”
oh ja, das kenn ich nur zu gut, bin ja auch gerad wieder in der Phase. Da schickt man den Mann mal zum ersten Kindergarten-Elternstammtisch, da heißt es, och nö, da kenn ich ja keinen, was soll ich denn da sagen usw. ja, super, ich kenn da auch keinen und muss mir überlegen, mit wem ich was rede…sorry die Rechtschreibung, einhandtippen mit Baby auf dem Arm macht sich so schlecht…
Du triffst es mal wieder genau! Ich sehne mich oft nach “alleine” sein, aber dann “nutze” ich die Zeit meist um endlich mal auszumisten, zu räumen,bügeln,putzen etc. Jeder kennt das. Anstatt dann mal das zu tun, wozu ich wirklich Lust habe, oder einfach mal nichts!
Immerhin habe ich dieses Jahr schon ein Wochenende mit meiner Freundin gemacht,es war herrlich selbstbestimmt zu entscheiden wann und wohin man möchte und nicht von irgendwelchen Schlafenszeiten oder Hungergfühlen durch den Tag geleitet zu werden ;-)
Danke für den Gedankenanstoß und viel Spaß beim “alleinallein”
Gruß
Sandra
Liebe Svenja,
seit einiger Zeit lese ich Deinen Blog. Vielen Dank dafür, er inspiriert sehr. Und gerade in diesem Text kann ich nur nicken. Es ist so wichtig, sich Auszeiten zu gönnen. Sich mal eine Stunde zu “klauen”. Mich beschäftigt gerade, dass ich gerne mal für mehrere Wochen raus , der Natur näher kommen, mir wieder näher kommen möchte. Doch dann springt gleich der Rabenmutter-Modus an, schon allein der Gedanke lässt Schuldgefühle aufkeimen. Ist doch egoistisch, so etwas zu wollen. Mein 9jähriger braucht mich ja, wie soll das gehen? Der Papa muss arbeiten, Omas sind keine in der Nähe. Also wird das Projekt wohl noch ein paar Jährchen warten müssen. Aber zumindest mal so 1,2 Tage, die gönn ich mir hin- und wieder.
Beste Grüße
Petra
Liebe Svenja,
genau so geht es mir auch, ich bin seit fst 13 Jahren Mutter von 3 Kindern und Zeit für mich ganz alleine ???? Was ist das ?
Dieses Jahr sind meine beiden Großen (fast 13 und 10 jahre alt ) ,it einer Jugendfreizeit der Kirche für 2 Wochen nach Holland gefahren, dadurch wurde es zu Hause schon sehr viel ruhiger, aber die kleinste ( 7 Jahre alt ) kennt es ja auch nicht alleine mit mir zu sein, die ersten Tage fand sie es toll,aber so langsam fehlt ihr einer zum spielen oder auch mal zum streiten.
Diese Woche nimmt auch sie an einem Ferienprogramm teil, wo sie von !0.00 Uhr bis 14.30 Uhr ,mit anderen Kindern zusammen einen Drachenschatz sucht und den Wald unsicher macht.
Was tue ich mit meiner freien Zeit ?
So viel bleibt davon gar nicht,die Wohnung muß aufgeräumt und geputzt werden, man muß nach wie vor einkaufen, für den Mann kochen,waschen usw.
Die kleine muß zur Ferienbetreuung gefahren und abgeholt werden.
Gestern habe ich mir mal eine Auszeit gegönnt und war mit einer Freundin alleine ohne Zeitdruck ausgiebig frühstücken, auch sie ist Mutter ( von 8-jährigen Zwillingen)und zur Zeit alleine, da sie alleinerzeihend ist und die Kinder 2 Wochen Ferien mit dem Vater machen.Auch sie sagte,es ist ruhiger, aber alles läuft weiter, sie muß trotzdem arbeiten.
Man hat freie Zeit aber man vermisst die Kinder auch, fragt sich was sie gerade so machen, ob sie Vlt. Heimweh haben, ihnen das Essen schmeckt, sie täglich ihre Unterwäsche wechseln.
So abschalten wie früher geht nicht mehr, der Mutterinstinkt kommt immer durch, trotzdem tuen schon ein paar Stunden Freiheit und so eine kleine Auszeit wie dieses Frühstück gut um die Batterien wieder aufzuladen und ich kann es auch kaum erwarten alle mein süßen wieder um mich zu haben und dann noch mit ihnen und meinem Mann gemainsam an die Nordsee zu fahren.
Hallo liebe Svenja,
genieße Deine freie Zeit! Es wird sich sicherlich sehr ungewohnt anfühlen, aber es tut gut. In diesem Jahr hab ich diese “Diana-Zeit” zum zweiten Mal gemacht (pro Jahr eine Woche). Es ist ganz wunderbar, auf einmal Entscheidungen nur noch für sich zu treffen, seinen eigenen Rhythmus mal wieder spüren, der so übertönt ist vom Familienalltag.
Deswegen: genieße Deine Zeit – und mache, was DU willst. Viel Spaß dabei!
Alles Liebe,
Diana
Liebe Svenja,
kleine Auszeiten sind so wichtig für uns Mütter! Früher, als die Kinder noch kleiner waren, wollte ich mich immer gar nicht so gerne von den Kindern trennen. Auch wenn es nur z.B. für einen kurzen Einkauf war. Das “Loslassen” muß man manchmal erst lernen. Auch für die Kinder ist es wichtig, mal ohne Mama und Papa auszukommen. Jetzt sind sie fast groß und unsere Älteste zieht vllt. dieses Jahr schon aus. Genießt eure gemeinsame Zeit, sie ist so wertvoll. Aber übt auch den “Abschied und Abstand”, denn die Kinder werden schneller groß, als einem lieb ist.
Auf alle Fälle: freie Zeit für sich nutzen und genießen!
Liebe Grüße
Dörte
Huhu Frau Media,
fahr doch auch mal allein nach Hawaii – so wie ich letztes Jahr! 2 Wochen lang, gaaanz für mich, bei mir, und dann noch mit Delfinen im Wasser…einfach wunderschön. Hab sogar die langen Flüge genossen, weil ich keine Kinder zu wickeln, stillen, verpflegen oder auf meinen Schoß liegen hatte…Aber vielleicht muss es ja nicht gleich das andere Ende der Welt sein (obwohl dieser Gedanke schon reizvoll war, nach 8 Jahren Mutterdasein..) Einfach mal ohne Anhang in der Welt und den Menschen sein. Interessante Erfahrung, vor allem, wenn man dann wieder nach Hause zu seiner Mischpoche kann ;-)