Der Katastrophenmodus oder Handys im Ehebett und als Babysitter

Seit Wochen gehe ich mit diesem Blogpost schwanger. Und wie so oft, schreibe ich ihn genau heute, weil heute der Stein des Anstoßes auf mich zugerollt ist. In der Sonntagsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist nämlich ein Interview mit Michael Winterhoff, Psychiater, abgedruckt. Überschrift “Wir leben im Katastrophenmodus”, untertitelt: Erziehen im Hamsterrad: Der Psychiater Michael Winterhoff über Eltern unter Anspannung und gestresste Kinder.

Keine Angst, es wird jetzt weder langweilig, noch tiefenpsychologisch. Aber Herr Winterhoff spricht mir aus der Seele – wir müssen zurück zur Intuition. Dazu am Ende mehr. Erstmal kurz was zum Hamsterrad: facebook hier, eine Push-Mail-Benachrichtigung da – und beim Vorlesen noch mal eben aufs Handy geschielt. Man merkt ja gar nicht, wie man langsam aber sicher in die Techniktretmühle rutscht – und versteht mich nicht falsch: Ich liebe Technik und neue Gadgets und das ganze Drum und Dran. Aber neulich habe ich einen Vorspann für einen französischen Film gesehen, da ging es um Untreue. Und eine Szene zeigt ein Ehepaar, das nebeneinander im Bett sitzt. Beide im Schlafanzug, beide schauen auf ihr Handy und sind komplett in ihrer eigenen Welt. Um ehrlich zu sein: Das hätten Uwe und ich sein können. Nicht, dass wir da immer so sitzen würden und uns nichts zu sagen hätten – aber die Szene war mir unheimlicherweise extrem vertraut.

Ich bin sicher nicht facebookabhängig und kann auch gut meine Mails mal nicht checken. Aber ohne Handy einen Wochenendausflug mit den Kindern zu machen, kommt für mich nicht in Frage. Was, wenn man in eine Notsituation gerät? Naja, und wenn ich es schon dabei habe, kann ich es ja auch benutzen, um mal kurz auf facebook zu schauen – oder es den Kindern zu geben, wenn das Essen im Restaurant ewig auf sich warten lässt. Die können dann die Walter-Wimmel-App spielen und ich habe mal fünf Minuten Ruhe.

Und ja, während ich diese Sätze schreibe, ist mir mein Verhalten fast peinlich. Andererseits sah ich neulich beim Mediamarkt eine Frau, die sich null um ihr Kind im Buggy kümmerte. Das Mädchen war vielleicht anderthalb, die Mutter Anfang 20. Obwohl das Mädchen nonstop jammerte, beugte sich die Mutter nicht einmal zu ihr runter sondern steuerte völlig desinteressiert durch die Regalreihen. Irgendwann war es der Mutter wohl zu anstrengend und sie reichte dem Mädchen – wieder ohne es anzuschauen – ihr Handy. Die Kleine war SOFORT komplett still und drückte gekonnt auf den Knöpfen herum und hatte offensichtlich bekommen, was sie wollte. AUFMERKSAMKEIT. Nur dass es nicht die Zuwendung durch ihre Mutter war, sondern die durch ein technisches Gerät. Das war spooky und erschreckend gleichzeitig.

Mein Vater, der wirklich belesen ist und Computerbildschirme höchstens benutzt, um Post-Its daraufzukleben, hat mir neulich am Telefon ein Zitat des römischen Offiziers Cajus Petronius von 100 nach Christus vorgelesen.

“Wir übten mit aller Macht: aber immer, wenn wir begannen, zusammengeschweißt zu werden, wurden wir umorganisiert. Ich habe später gelernt, dass wir oft versuchten, neuen Verhältnissen durch Umorganisation zu begegnen. Es ist eine phantastische Methode! Sie erzeugt die Illusion des Fortschritts, wobei sie gleichzeitig Verwirrung schafft, die Effektivität vermindert und demoralisierend wirkt.”

Scheint es nur so, oder kannte Cajus sowohl facebook, als auch Google+? Ganz ehrlich, Mütter sind die besten Alltagstester. Hier also ein kleiner Tipp für die Google+-Macher: Wir werden nur zu euch kommen, wenn ihr uns das Überleben erleichtert. Evolutionsbedingt machen wir nämlich nur Sachen, die unsere Brut stärken, nicht schwächen, um das Überleben der Sippe zu sichern. Und ganz ehrlich: Ich kann gerade nicht noch einem sozialen Netzwerk beitreten, weil ich mit meinem ganz zufrieden bin. Die meinesvenja facebook Gruppe ist schließlich dafür da, dass ihr was posten könnt und ich so Feedback von euch bekomme – denn so weiß ich, was ihr gerne lest, ohne dass mir jeder eine Mail schreiben muss. DAS “sichert” zumindest schon mal das Überleben meines Blogs.

Ich habe keine Lust, unter Druck zu geraten mich – wie Cajus so treffend sagt – “umzuorganisieren”. Ganz im Gegenteil – ich möchte mehr meiner Intuition folgen. Ich möchte das Handy wieder aus dem Ehebett verbannen – schließlich haben wir auch keinen Fernseher im Schlafzimmer. Außerdem werde ich einen handyfreien Tag am Wochenende einführen. Für die GANZE Familie. Ich bin schon gespannt, wie das wird und werde euch natürlich davon berichten. Vielleicht habe ich dann auch mal Zeit, das zu tun, was der Psychiater aus dem FAZ-Artikel vorschlägt.

“Lassen Sie sich mal darauf ein, fünf Stunden durch den Wald zu gehen. Wichtig wäre, dass Sie nicht wandern, sondern einfach gehen, ohne Ablenkung. Sie hören keine Musik, sie haben weder ein Handy noch einen Hund dabei und Sie joggen nicht.”

Wenn ich das hinkriege, ohne vorher auf die Wetterapp zu schielen, sondern einfach nach einem Blick aus dem Fenster zu entscheiden, was ich anziehe, habe ich es – glaube ich – geschafft.

In diesem Sinne wünsche ich euch einen schönen Sonntag.

Eure Svenja

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Deine Daten in der Kommentarfunktion werden nur für diese verwendet. Weitere Informationen findest du in der Datenschutzerklärung.