Freiheit ist das höchste Gut

FreiheitMein iPhone Screen – ohne WhatsApp

Ihr Lieben,

vor ein paar Tagen habe ich WhatsApp von meinem iPhone gelöscht. Genervt hat mich die App schon einige Zeit – und das sowohl aus technischen, als auch aus zwischenmenschlichen Gründen. Was mein Fass nun zum Überlaufen gebracht hat, war dieser Artikel in der Süddeutschen Zeitung, in dem es darum geht, dass WhatsApp ab dem heutigen Sonntag meine Telefonnummer mit Facebook teilt.

Denn plötzlich konnte ich einordnen, was mir ein paar Tage zuvor passiert war, als ich die Treppe hochging – das Handy in der Hand. Aus Versehen war ich irgendwo drangekommen und sah, dass ich einen Facebook Call (???) machte. Ich hörte auch den Klingelton (der ziemlich nach Übersee klang, wenn ihr wisst was ich meine – also so, wie es sich früher anhörte, wenn man jemanden in den Staaten anrief). Zu meinem Schreck rief ich tatsächlich eine Facebook Freundin an, die in den USA wohnt und die ich nur virtuell kenne.

Ich habe es dann irgendwie geschafft, den Call zu stoppen und mich sofort via PM bei der Dame entschuldigt. Sie sagte: “No problem – this has happened quite a lot in the last days.”

Normalerweise lasse ich mich von solchen geheimen Rollouts und Tests neuer Funktionen nicht bange machen und ja, ich habe auch gehört, dass man der Sache mit der Datenweitergabe widersprechen kann. ABER: Diesmal ist die Lage etwas anders. Zum einen habe ich mehr als 10.000 Freunde/Follower auf Facebook. Die Vorstellung, dass all diese Menschen mich plötzlich anrufen können, schnürt mir die Kehle zu. Denn die Freiheit, zu wählen, mit welchem Mensch ich welches Kommunikationsmittel nutzen möchte, ist für mich ein hohes Gut.

Ich möchte selbst entscheiden, wie ich mit wem wann kommuniziere.

Heute nutzen alle Messaging Services – aber wenn wir uns mal kurz rückbesinnen: Wir wussten nicht von Beginn an, was uns da erwartet. WhatsApp zum Beispiel wurde uns verkauft als ein kostenloser Ersatz für SMS. Schnell war die Peer Pressure groß – denn wer nicht mitmachte, zwang die anderen ja dazu, kostenpflichtige SMS zu senden.

Dann wurden Gruppen eingerichtet, in denen man auf kurzem Dienstweg Sachen besprechen konnte, die sonst einige Zeit in Anspruch genommen hätten. Die Emails über Verteiler hatten ausgedient und plötzlich hatten auch alle Eltern von Mitschülern meiner Kinder Zugriff auf mich. Jederzeit und mit “Habe ich gesehen” Häkchen. Aber: Wollte ich das überhaupt?

Nein.

Ich wollte selbst entscheiden, mit wem ich auf welchem Weg kommuniziere. Und das hat gute Gründe.

Ich möchte nicht eure Probleme und Versäumnisse lösen.

Jeden Tag bekomme ich WhatsApp von Müttern. Manche sind nett und fröhlich. Aber immer wieder sind es auch solche: Das mir völlig unbekannte Kind A findet sein Deutschbuch nicht mehr und ich MUSS SOFORT nachschauen, ob mein Kind es eingesteckt hat (auch wenn mein Kind am anderen Ende der Klasse sitzt).  Kind B – das ich auch noch nie getroffen habe – braucht UNBEDINGT ein Religionsheft, weil es das am Ende des Schuljahres nochmal komplett abschreiben muss. Denn es fehlen ja so viele Einträge. Und mein Kind schreibt ja immer so toll mit.

Natürlich haben immer dieselben Kandidaten solche Fragen und vergessen dabei jegliche Umgangsformen (Zauberwort?). Ich helfe gerne und ich teile auch gerne. Aber eben nicht, wenn ich merke: Am anderen Ende gibt es Forderungen und Erwartungshaltungen ohne Bitte und Danke.

Ich bin nicht Mrs. Google.

Ich bin relativ gut organisiert und es gibt viele Fragen, die ich beantworten kann. Das heißt aber nicht, dass ich eine kostenlose Auskunftei bin. Vor allem nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit. Oder zu Themen, für deren Beantwortung ich eigentlich Geld nehme, weil ich damit meinen Lebensunterhalt verdiene.

Ich liebe ganze Sätze.

Aber nicht fünf hintereinander in fünf  verschiedenen WhatsApps.

Kommst Du am Wochenende zu der Veranstaltung?

Und wenn ja, wie kommst Du hin?

Kannst Du mich mitnehmen?

Höre gerade, Petra weiß auch noch nicht, wie sie hinkommt.

Um wie viel Uhr fängt das nochmal an?

Je länger ich über WhatsApp nachdenke, desto besser finde ich, dass ich es gelöscht habe. Denn mir wird klar: WhatsApp begünstigt Unverschämtheiten.

Dieses zeitlich Unmittelbare, dieses Wissen um den direkten Zugriff auf jemanden. Vielleicht führt all das dazu, dass Menschen, die eh zu Grenzüberschreitungen neigen (oder die ich als grenzüberschreitend empfinde), sich hier pudelwohl fühlen. Ich glaube fast: WhatsApp unterstützt mit seinen Funktionen übergriffige Kommunikation und sozial bedenkliches Verhalten. Da muss man aber erstmal drauf kommen, weil solche Energiekraken-Apps ja immer schön langsam eingeführt werden und oft erst nach und nach anstrengend werden.

Klar habe ich auf WhatsApp auch einige wunderbare Freundschaften gepflegt, weil es so praktisch ist. Aber mit denen kann ich ohne Probleme auf andere Plattformen ausweichen. Oder wie meine Nerd-Freundin Katarina von Blogprinzessin neulich schrieb:

“Ich verliebe mich gerade wieder neu in Email. Das wirkt gegen WhatsApp fast wie slow-communication. Und das Denken kann mit dem Kommunizieren Schritt halten. Ohne Hetze.”

In diesem Sinne heißt es bei mir ab jetzt wieder “Wie geht’s?” anstatt “WhatsApp?”

Eure Svenja

P.S.: Gerade habe ich gelesen, dass WhatsApp jetzt nochmal ein richtig nerviges Feature für Gruppen gelauncht hat. Spätestens damit hätte sich das für mich eh erledigt. Oder wie zwei meiner Freundinnen, die auch WhatsApp Quitter sind, einstimmig ausriefen, als die App runter war: “Diese herrliche Ruhe!”

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22 Kommentare

  1. Liebe Svenja, du hast absolut Recht. Ich glaube das ganz oft die Tatsache überwiegt, dass Whats app ja so wahnsinng praktisch ist, man eh schon dabei ist und deswegen bleibt man dann auch. Aber ich hoffe, dass gerade dein Artikel viel zum Nachdenken bewegt. So wie mich zum Beispiel, denn ich habe gar kein Handy. Was mittlerweile, wo Kinder im Grundschulalter (oder darunter) schon ein Smartphone besitzen, eher ungewöhnlich ist. Ich werde dann bald auf meinem Blog mal darüber schreiben, wie es denn überhaupt dazu gekommen ist. Gar keine so bewusste Entscheidung wie man annimmt, aber dafür heute eine umso mehr befreiende. Beste Grüße aus dem Isarwinkel zu dir!

    1. Danke für Deinen Kommentar Michaela – bin schon sehr gespannt auf Deine Geschichte. Dass meine Tochter schon in der fünften Klasse ein Handy bekommen hat, lag nur an dem WhatsApp Gruppenzwang. Ohne ist man ganz schnell außen vor auf der weiterführenden Schule – sie war die einzige ohne Handy in der Zeit nach den Sommerferien bis zu den Herbstferien. Hätte ich nie gedacht – aber jede Generation hat eben eine eigene Art der Sozialisation und muss lernen, damit umzugehen. Da sind auch wir Eltern gefragt, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

    1. HAHAHA – der ist gut. Was ich jetzt nur nicht verstehe – ich habe eigentlich keine Social Share Icons mehr. Schon lange nicht mehr. Wo genau stand das denn bei Dir – denn ich sehe es tatsächlich auch nicht? Falls Du es nochmal findest, wäre ich Dir für einen Screenshot über Facebook PM dankbar.

  2. Liebe svenja, seitdem ich deinen letzten Bericht gelesen habe, bin ich auch schwer am überlegen, ob ich WhatsApp lösche. So blöd das klingt aber ich finde das total mutig von dir. Ich überlege gerade mit wem ich denn hauptsächlich schreibe und was sich ändern würde. In den “wahren” Freundschaften wäre es kein Problem, wahrscheinlich würde man einfach wieder öfter zum festnetztelefon greifen! In letzter zeit häufen sich bei mir die Nachrichten, in denen ich zwar von weitläufig Bekannten , aber beruflich angeschrieben werde und das zu jeder Tages – und v.a. Nachtzeit! Der MütterChat. .. hier tauschen wir uns recht oft aus und eine Mutter , die kein WhatsApp hat bekommt halt wirklich gar nix mit… Ich hoffe ich werde auch so mutig sein und WhatsApp löschen, wollte dir aber unbedingt für die Anregung danken!

    1. Ich freu mich, dass Du das mutig nennst, dass ich die App gelöscht habe. Ich bin mir sicher: Ich werde jetzt auch einige Sachen nicht mitbekommen. Wenn ich den Menschen wichtig genug bin, werden sie mich wohl anders kontaktieren. Wenn nicht ist das für mich auch völlig Ok – dann reinigt sich das Feld von selbst.

  3. Hallo Svenja,
    danke für diesen Blogartikel.
    Ich finde es besonders interessant, daß Du als “intensiv-Vernetzte” diesen Schritt getan hast. Das bestätigt mich auch in meiner Haltung.
    Ich war nie bei WhatsApp, was mir in der Tat einige schräge Blicke und fehlende Infos beschert.
    In der Familie nutzen wir (auf Hinweis meines IT-bewanderten Mannes) Threema, meist für Foto-Schnappschüsse aus dem Alltag, die auf diesem Weg schnell die in ganz Deutschland verteilte Verwandschaft erfreuen.
    Das Sicherheitsrisiko bei vielen virtuellen Diensten wird wohl gerne grundsätzlich unterschätzt/ignoriert.
    Allerdings hat mich meine WhatsApp-Abstinenz auch eine Freundschaft gekostet, denn anscheinend gibt es Leute, die nicht mehr zu SMS, Email oder gar Telefon wechseln können. Schade!
    Sonnige Grüße aus Mainz,
    ohmskine

    1. Warte mal ab – in nächster Zeit kommen nämlich einige Neuerungen, die die “Intensiv-Vernetzte” einläuten wird. Weil ich gerade dadurch, dass ich viel auf den Kanälen unterwegs bin, sehr genau feststelle, was für mich funktioniert und was eben nicht mehr. Und ich werde im Laufe des Restjahres für mich die Dinge so umbauen, wie ICH sie für richtig, anwendbar und nützlich halte. Und nicht wie “man” das heute macht oder was “man” von mir erwartet. Revolution!!! ;-)

  4. Sehr gute Entscheidung Svenja
    Und wieder ein sensationell treffender Bericht ich Danke dir dafür
    Meine Tochter ist durch soziale Plattformen massiv gemobbt worden…. daher sind wir immer sehr kritisch
    Und haben der neuen Nutzung erstmal wiedersprochen
    lustig fand ich den Hinweis das ich das nie wieder ändern kann und ob man das denn wirklich wolle ….
    Ja will ich und ich bin in keiner elterngruppe oder sonstiges die können anrufen wenn sie was wollen oder ne Mail schreiben ????
    Lieben Gruß
    Tina

  5. Liebe Svenja, ein RIESIGES HERZLICHES DANKE!!! Toller Artikel (…wie so oft!) Dachte schon, es geht nur mir so mit dieser Phobie gegen ‘gezwungene Intensiv-Vernetzung’!

    P.S. zu Nicole’s Kommentar bezüglich WhatsApp-Share: zu sehen ist dieser Button nur mobil (bei mir Konstellation iPhone & Chrome…) Ist auch erst seit kurzem zu sehen dieser grüne Button…

    Viele Grüße, betty

  6. Habe mich sofort in dem Ärger über die Umgangsformen erkannt.
    Neulich bekam ich am Weg zur Schule kurz vor 8uhr von einer Schulmutter die Nachricht: WO SEID IHR????. Als ich die Mutter dann in der Aula der Schule sah fragte ich sie ob wir uns verabredet hätten und sie meinte nur: “Nein aber ich bin schon seit zehn Minuten hier.” Da musste ich erst einmal schlucken.

    Was mich auch unwahrscheinlich nervt sind diese WhatsApp-Gruppen! Ich antworte dann meistens knapp und stelle sofort auf stumm. Später darf ich mir dann anhören wieso ich so unhöflich sei und dabei will ich die anderen einfach nicht nerven! Wer hat denn wirklich die Zeit das alles zu lesen und dauernd antworten zu können?? Kein Wunder dass wir alle zu Smartphone-Zombies werden ;).

    Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen auf diese Art der Kommunikation zu verzichten. Bin ich schon süchtig? Ich werde mir aber auf jeden Fall die anderen Alternativen einmal anschauen. Das Programm SIGNAL schaut nicht schlecht aus.

  7. Huh. Ich finde das verwunderlich. Ich finde die tagging Funktion in Gruppen echt super. Wenn ich in Gruppen bin die mich nerven…. Entferne ich mich eben. Ich meine klar, jedem das seine. Aber über diese Telefonnummer Funktion lässt natürlich streiten.. Wobei ich im großen Ganzen finde dass die deutsche Presse immer arg überreagiert wenn es um solche Sachen geht

  8. Liebe Svenja! Danke für den Artikel! Whatsapp entwickelt sich langsam aber sicher zur Pest! Der Film “Der Staatsfeind Nr. 1” ist gar nicht mehr so weit hergeholt. Mir macht die Entwicklung echt Angst, vor allem auch im bezug auf meine Kinder. Facebook habe ich schon gelöscht. Whatsapp noch nicht, wegen den Fussballgruppen der Kinder(eigentlich total lächerlich) und weil man so schön einfach Fotos an die Verwandschaft schicken kann. Auf der anderen Seite kann ich ein Lied von den zig whatsapps hintereinander (und wehe man vergisst eine frage zu beantworten) und den grenzüberschreitungen (“Wie? Ab 20 Uhr gehst du nicht mehr ans Handy?? Dann brauche ich dir gar nicht mehr zu schreiben!” Hää????) singen! Zum Glück habe ich ein Windows Phone und wenn man da die Gruppen auf lautlos stellt, steht man erst in der App direkt, wenn jemand was in die Gruppe schreibt. Von daher bekomme ich jetzt schon die meisten Sachen erst mit, wenn es eh schon zu spät ist. Aber ich werde jetzt auch mal die alternativen testen und hoffe, das du uns an deiner Entwicklung teilhaben lässt.
    Liebe Grüße Nicole

    1. Ich glaube für manche ist WhatsApp echt genau das Richtige. Ich bin – lach nicht, ich weiß, man kommt nicht sofort drauf – tatsächlich ein eher zurückgezogener Mensch. Wenn ich ins Außen gehe bin ich zwar quirlig und locker und ich kann auch vor 1.000 Menschen angstfrei ohne Vorbereitung sprechen oder fürs Fernsehen drehen, Keynotes halten – aber danach brauche ich Tage, um mich zu erholen. Das ist fast wie ein Boxkampf für mich. WhatsApp ist für mich wie ein Boxkampf der über Millionen von Runden geht. Ich habe das Gefühl, dass das permanent läuft und ich nicht einmal ein Handtuch nehmen kann, um mir den Schweiß von der Stirn zu wischen. Deshalb glaube ich tatsächlich, dass diese Art der Kommunikation einfach nicht meins ist. Und dass es da vielleicht gar keine Alternative gibt, sondern dass das ersatzlos gestrichen wird. Dir starke Nerven – ich werde auf jeden Fall Updates zum Thema bringen. Liebe Grüße, Svenja

  9. Vielen Dank für den Beitrag! Ich war oft versucht, mich bei WhatsApp (und Facebook) anzumelden. Nach meinem letzten Urlaub, bei dem ich in einer Gruppe unterwegs war, wurde ich endgültig davon überzeugt, es zu lassen. Gemeinsam im Bus oder am Tisch zu sitzen und alle schreiben sich (oder anderen) permanent via Smartphone führt zu skurillen Erlebnissen als nicht WhatsApper – 90% der Gruppe ist nur körperlich anwesend. Man weiß aber dann genau, dass die Tochter am anderen Ende der Welt den Turnbeutel zu Hause vergessen hat … Urlaub und Fremde entdecken und aufnehmen ist anders, für mich zumindest. Ich bin froh, dass es Menschen wie dich gibt, die darüber nachdenken was für sie sinnvoll ist und entsprechend entscheiden.

  10. Hallo Svenja, ich finde es ja sehr beruhigend, dass es auch noch andere Leute in Medienberufen gibt, die bewusst auf WhatsApp verzichten. Ich finde es sehr gut, dass Du das unter der Überschrift “Freiheit” gepostet hast. Aus meiner Sicht geht es nämlich genau darum: Das Argument pro WhatsApp bei Erwachsenen ist vor allem die Bequemlichkeit und “dass es ja nichts kostet”. Dafür nehmen viele den Terror der ständigen Erreichbarkeit und des Sofort reagieren-Müssens genauso gerne auf sich wie die Preisgabe aller Daten, die sie damit produzieren. Für mich bedeutet das Abhängigkeit und Unfreiheit. Auf die kann ich gut verzichten, deswegen verzichte ich auch auf WhatsApp. Ich hoffe, dass meine Kinder das irgendwann auch so sehen …

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